Das Herbstfestival bespielt alljährlich charismatische Orte des Mostviertels und hat sich programmatisch zu einem Konzertzyklus mit feiner Solo- und Kammermusik entwickelt.
Klangraum im Herbst

Der Sommer ist vorüber, die Nächte werden länger. Auch in Waidhofen an der Ybbs dürfte die Dunkelheit bald rasant zunehmen, allerdings in schöpferisch höchst herausfordernder Form. Denn beim „Klangraum im Herbst“ ist Verbrechen in der Kunst angesagt. Welche Farb- und Klang-Nuancen sind dort ab 23. Oktober im Kristallsaal des Schlosses Rothschild zu erleben?
Das Festival beginnt mit dem absolut Dunklen, so abgrundtief scheint es, dass Pessimisten ihm den Status der Farbe absprechen: Schwarz. Der Zustand der Trauer, der kosmische Abgrund, das Schwarze Loch, das alles in den Untergang reißt. Bei uns aber wird daraus mithilfe des Erz-Poeten H. C. Artmann pure Poesie: „med ana schwoazzn dintn“ nannte er 1958 seine „gedichta r aus bradnsee“, die mit einem mordenden Ringelspielbesitzer einsetzen. Der fürchtet sich in der Nacht „fua de doodn weiwa“, die er erschlagen hat. Wer könnte Artmanns dunkle und zugleich grelle Kunstfiguren besser in einer Lesung zum Leben erwecken als Wolfram Berger, der in diesem Oktober seinen 80. Geburtstag begeht? Dichterlesung ist allerdings ein zu sparsamer Begriff, um Bergers Auftritte zu beschreiben! Dieser Universalkünstler geht tänzerisch mit der Sprache um, er kann sich blitzschnell vom blaubärtigen Hutschenschleuderer in ein „schdiafkind“ verwandeln und immer wieder in Artmann. Bei dem hat sich das Dämonische scheinbar in Ironie aufgelöst. Furchtbar komisch! Begleitet wird Berger am 23. 10. (19:30) vom Violinzauberer Aliosha Biz.
Am 2. 11. dominiert eine andere Problemfarbe: Das Braun der Nazis, das den Grundton in Natascha Gangls „da Stan!“ setzt. Die steirische Autorin hat mit diesem Text im Juli den Ingeborg-Bachmann-Preis und den Publikumspreis gewonnen. Sie lässt darin die Sprache selbst verdächtig werden. Es geht um ein unfassbares Kriegsverbrechen und den Versuch einer Vergangenheitsbewältigung irgendwo an einer Grenze in Europa. Gangls Sprache ist, wie sie schon in mehreren preisgekrönten Werken bewiesen hat, höchst musikalisch und komplex. Dazu passen kongenial die Echos, die David Helbock und Julia Hofer zum Abend mittels Klavier und Bass beitragen werden: „Faces of Night“ verspricht dieser Klangdialog. Also: Hören! Verhören! Wieder hören!
Welche Farbe passt eigentlich zu Franz Kafka? Bei der Lektüre seiner Erzählung „In der Strafkolonie“ fällt auf, dass der Jahrhundertdichter sehr sparsam mit solchen Adjektiven umging. Erst nach 15 von 46 beklemmenden Seiten wird man fündig: Da hält der Offizier dem Reisenden ein Blatt hin, so dicht mit Linien bedeckt, „dass man nur mit Mühe die weißen Zwischenräume erkannte“. Weiß. In einigen asiatischen Kulturen ist es die Farbe der Trauer. Um den Tod in einem unmenschlichen System geht es auch in der „Strafkolonie“. Von dem Prager Autor zu Beginn des Ersten Weltkriegs verfasst, im Jahr nach dessen Ende veröffentlicht, wird darin nicht nur das Massensterben verarbeitet, sondern er schien bereits all die Schrecken der Moderne geahnt haben, die noch kommen würden. Burgschauspieler Max Simonischek rezitiert am 6. 11. diesen lakonischen Text über einen Tötungsapparat, über Täter und Opfer und ihre Beobachter in einem gnadenlosen System. Die Klangwelten dazu erschafft einer die wichtigsten österreichischen Gegenwartskomponisten – Wolfgang Mitterer: Mit Klavier und live Soundzuspielungen, die den Kristallsaal zu einem multiphonen Klangraum machen.
Welchen Farbton kann man Franz Schubert zuordnen? In mehreren seiner Lieder wird das Grün besungen. Doch wer jetzt meint, das sei endlich ein hoffungsvolles, glücksbringendes Kolorit, sollte sich nicht täuschen. Zwar wird es als „Die liebe Farbe“ bezeichnet, denn sein „Schatz hat’s Grün so gern“. Doch wandelt sie sich in „Die böse Farbe“, die den Abschied von der schönen Müllerin bringt. Der mit nur 31 Jahren verstorbene Wiener Komponist steht auch für das abgründige Biedermeier. Mit den Umständen seines Todes wird sich der internationale Film- und Theaterstar Karl Markovics am 16. 11. befassen. Diese Spurensuche, die auf Schuberts Briefen und Erinnerungen seiner Zeitgenossen fußt, bereichert einfühlsam der Bariton Rafael Fingerlos, begleitet von Marcus Merkel auf dem Klavier.
Wo aber bleibt das Rot? Vielleicht hat es bei der Lesung von Florian Klenk am 20. 11. eine Mordschance. Der Chefredakteur des „Falter“ liest aus seinem Buch „Über Leben und Tod“, das aus Gesprächen mit dem Gerichtsmediziner Christian Reiter entstanden ist. Möglicherweise spielt auch das Farblose von Knockout-Tropfen eine Rolle. Wer weiß, ob nicht sogar eine Schwarze Witwe auftaucht. Dunkle Tom Waits Songs auf „Wienerisch“ versüßen den Blick nach unten. Jakob Semotan singt und spielt, die musikalische Leitung hat Christian Frank inne.
Alle Farben des Bösen werden für das Publikum in Waidhofen an der Ybbs dann wahrscheinlich beim Finale am 30. 11. spielen: „Mord in der Oper!“ Was für ein weites Feld, welch breites Spektrum! Thomas Dänemark, Präsident der Freunde der Wiener Staatsoper, wird aus seinem reichen Erfahrungsschatz an Musiktheater auspacken. Die Oper hat seit Kaisers Zeiten meist nicht nur gewaltig viele Noten, sondern sie handelt seit mehr als 400 Jahren vor allem auch von Gewalt. Zur Verdeutlichung dieses hemmungslosen Charakterzugs einer großen Kunstform werden im Kristallsaal garantiert Sängerinnen und Sänger der Wiener Staatsoper beitragen. Lassen Sie sich emotional überwältigen! Artmann würde in solch einem Fall wohl sagen: „reis s ausse dei heazz dei bluadex“!
Ich freue mich auf Ihren Besuch!
Ihr Thomas Bieber
Das Herbstfestival bespielt alljährlich charismatische Orte des Mostviertels und hat sich programmatisch zu einem Konzertzyklus mit feiner Solo- und Kammermusik entwickelt.